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Verschiedene Talente am richtigen Ort verbinden

Silvie Boyd arbeitet als Diakonin in der Seemannsmission
Silvie Boyd ist täglich im Hafen von Le Havre unterwegs – dem zweitgrößten Hafen Frankreichs.

Der Diakonen-Beruf ist vielseitig, so viel ist klar, die Einsatzgebiete sind ganz unterschiedlich. Manche Einsatzgebiete sind allerdings noch ein bisschen unterschiedlicher: So wie die Arbeit von Silvie Boyd, die seit einigen Jahren in der Seemannsmission im französischen Le Havre arbeitet. Die Diakonin hatte sich schon immer für Sprachen und verschiedene Nationalitäten interessiert und Romanistik, Französisch, Afrikanistik und Pädagogik studiert. Diakonin ist sie erst auf dem zweiten Bildungsweg geworden, als sie sich in einer Kirchengemeinde auf eine Stelle in der Jugendarbeit beworben hat. Damals hatte sie sich für ein berufsbegleitendes Studium im Rauhen Haus entschieden. „Gott hat mir meine Talente gegeben, damit ich sie verbinden kann“ erzählt die Diakonin, wie sie zu ihrer aktuellen Stelle in der Seemannsmission kam. Zunächst führte der Weg sie nach Kamerun, in die Hafenstadt Douala, auch schon eine Stelle bei der Seemannsmission. „Ich hatte das Gefühl, diese Stelle ruft nach mir“, so Silvie Boyd über ihren Start in Kamerun. Die Covid-Pandemie brachte sie und ihre beiden Zwillingssöhne nach wenigen Jahren allerdings zurück nach Europa. Nach einigen Monaten in Deutschland konnte sie im August 2020 in Le Havre starten.

Die Arbeit in der Seemannsmission ist für die Diakonin perfekt. „Ich arbeite lieber mit Männern. Und obwohl wir eigentlich mittlerweile von Seeleuten sprechen, sind nur ungefähr zwei Prozent der Crewmitglieder Frauen.“ Täglich ist sie im Hafen unterwegs und besucht Crews – nicht Schiffe. „Eigentlich heißt es Schiffsbesuche, aber ich habe mir angewöhnt, Crewbesuche zu sagen, ich besuche ja schließlich die Menschen an Bord.“ Sie informiert sie über verschiedene Angebote im Hafen, die Möglichkeit, Shuttlebusse für Landgänge zu organisieren und kommt mit den Seeleuten ins Gespräch. Ein wichtiger Türöffner ist dabei Fluffy, ihr Terriermischling, den sie aus Kamerun mitgebracht hat. Sogar einen offiziellen Titel hat das Tier: Er ist der Mission-Dog der Seemannsmission in Le Havre.

Im Gespräch mit dem ukrainischen Chief Officer.

Die studierten Sprachen kann Silvie Boyd optimal anwenden, auch wenn Englisch die Verkehrssprache in der Seefahrt ist. „Es ist gut, wenn man sich mit den Crewmitgliedern in ihrer eigenen Sprache unterhalten kann. Ich versuche jeden Tag dazu beizutragen, dass Menschen sich im wahrsten Sinne des Wortes verstehen.” Grund genug für sie, im Herbst 2023 zwei Wochen Bildungsurlaub zu nehmen und Portugiesisch als zusätzliche Fremdsprache zu vertiefen.

Ihre Aufgabe endet jedoch nicht mit den Crewbesuchen. Diese sind nur der erste Kontakt. Sie bietet den Männern und Frauen während ihrer Zeit im Hafen und häufig auch darüber hinaus ein offenes Ohr. Sie unterstützt bei konkreten Fragestellungen, bietet Shuttledienste an und Exkursionen. „Zu Weihnachten bekommen die Crews von mir Gutscheine für gemeinsame Zeit. Sie können aus drei Ausflügen einen aussuchen, den ich dann mit ihnen mache. Das fand ich sinnvoller, als noch mehr Süßigkeiten. Es sind doch immer alle gestresst und haben zu wenig Zeit, was könnte da besser sein, als Zeit geschenkt zu bekommen.“ Ziel ihrer Arbeit ist es immer, den Menschen ein Gesicht zu geben, für sie da zu sein. Sie erzählt von einem Unfall, der sich wenige Wochen zuvor ereignet hatte. Ein junger Kadett war schwer verwundet worden, als er von der Gangway gefallen war. Konkrete Unterstützung war gefragt, Wäsche haben sie und ihre Kollegen ins Krankenhaus gebracht, ihm Mut zugesprochen, mit ihm gebetet. Doch auch mit dem Crewmitglied, das ein schlechtes Gewissen hatte, haben sie gebetet und waren für ihn da. „In der maritimen Industrie ist es immer noch nicht angekommen, dass da echte Menschen an Bord sind. Für alle Crewmitglieder ist so ein Unfall eine Herausforderung und jeder von ihnen geht damit unterschiedlich um. Das ist einfach noch nicht richtig ins Bewusstsein gerückt.“

Neben den ernsten Aufgaben hat Silvie Boyd auch heitere. In den Tagen vor Weihnachten bietet sie beispielsweise mit einer ehrenamtlichen Musikerin Christmas Carol Sing-Alongs an Bord an. Wie das den Seeleuten gefällt? „Die Konzerte kommen gut an bei den Crews, es macht ihnen Spaß und lenkt sie von der Tatsache ab, dass sie an Weihnachten nicht bei ihren Familien sind, sondern in einem fremden Land in einem Hafen.”

Wichtig ist ihr auch das Thema Sicherheit. Denn: Die Arbeit im Hafen ist zwar spannend, aber auch gefährlich. Zum einen ist es herausfordernd, als einzige Frau unterwegs zu sein. „Die Docker kennen mich jedoch schon alle. Die sind alle sehr hilfsbereit und zuvorkommend“, so die Diakonin. Zum anderen ist die Gefahr für Unfälle auch recht hoch. „Ich muss immer aufmerksam sein, ich kann mir nicht leisten, die Nacht vorher zu wenig zu schlafen. Ich muss ausgeruht sein, wenn ich den Hafen betrete.“

In Le Havre lebt sie gemeinsam mit ihren Söhnen im Missionhouse, als Mitarbeiterin hat sie dort Residenzpflicht. Sie kümmert sich um den Garten und das Haus und versorgt die Gäste, die immer wieder das Gästezimmer nutzen. Auch zwei Siebensitzer für den Shuttleservice und die Ausflüge gehören zum Haus.

Die Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses ist ihr wichtig, jedoch weit weg. Sie ist auf Grund der Entfernung nicht mehr so aktiv, wie früher, der Kontakt zu Einzelnen liegt ihr jedoch am Herzen. Als Ausgleich ist sie in der Kirchengemeinde vor Ort aktiv – auch wenn sie dort erst mal erklären musste, was eine Diakonin überhaupt ist.

Was sie sich für die Zukunft vorstellen kann? Das weiß Silvie Boyd noch nicht. Sie ist vielfältig interessiert und hat verschiedene Ideen. „Im Moment bin ich aber genau hier richtig.“

Text: Diakonin Arnica Mühlendyck
Fotos: Arnaud Tinel

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