Gemeinschaften als Werteherz
Diakonische Gemeinschaften und ihre Rolle in diakonischen Unternehmen
Die Welt wandelt sich – davor verschließen auch diakonische Gemeinschaften nicht die Augen, wie sich beim Fachgespräch im Rahmen der Mitgliederversammlung des Verbands evangelischer Diakonen-, Diakoninnen- und Diakonatsgemeinschaften e.V. gezeigt hat. Aus allen 20 Mitgliedsgemeinschaften waren Delegierte für die drei gemeinsamen Tage nach Berlin ins Evangelische Johannesstift gereist.
Neben dem Geschäftsteil und dem geselligen Austausch stand vor allem der fachliche Diskurs zu den Veränderungen im diakonischen Arbeitsfeld im Mittelpunkt. Viele diakonische Gemeinschaften befinden sich in einer ähnlichen Situation: Die diakonischen Unternehmen, denen sie durch oft lange Geschichte verbunden sind, verändern sich. Säkularisierung und Fachkräftemangel sind nur zwei Schlagworte, die diese Veränderung beschreiben. Wie können die Gemeinschaften darauf reagieren?
Von einem Weg berichtete Diakonin Claudia Rackwitz-Busse, Konviktmeisterin der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses in Hamburg. Sie erzählte von den vielen Situationen des Wandels, denen die Gemeinschaft in den mehr als 190 Jahren ihres Bestehens bereits begegnet ist. Die Brüder- und Schwesternschaft geht nun zukünftig einen besonderen Weg: Als eingetragener, gemeinnütziger Verein ist sie selbstständig und wird mit der Stiftung „Das Rauhe Haus“ wirkungsvoll zusammenarbeiten. Vier außerordentliche Mitgliederversammlungen waren nötig, um diesen Weg gemeinsam mit den Gemeinschaftsmitgliedern zu beschreiten. „Die Veränderung behagt nicht allen. Doch ich vertraue auf unsere Kultur- und Struktursensibilität und auf eine gute Portion Mut“, fasste Claudia Rackwitz-Busse zusammen. „Unsere besondere Beziehung zum Rauhen Haus wird immer eine wichtige Rolle für uns spielen.“
Von Erfahrungen und aktuellen Entwicklungen aus den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel berichteten Diakon Wolfgang Roos-Pfeiffer, Direktion der Stiftungen Sarepta und Nazareth in Bethel, und die Älteste der Diakonischen Gemeinschaft Nazareth, Diakonin Friederike Beuter. Während in den Anfängen nahezu alle in Nazareth ausgebildeten Diakone irgendwo in Bethel arbeiteten und wesentlich zum Wachstum des Unternehmens beitrugen, werden heute mehr und mehr Menschen Diakon oder Diakonin, die in den Feldern der verfassten Kirche beruflich tätig sind oder werden wollen. „Diakonische Unternehmen sind gleich mehreren Krisen ausgesetzt: Solchen in der Sozialwirtschaft, wie auch jenen in der Kirche. Das führt dazu, dass sich das Berufsprofil für Diakoninnen und Diakone ändert und vor allem in der Diakonie neu geschärft werden muss“, erläuterte Wolfgang Roos-Pfeiffer. „In Bethel geschieht das aktuell unter anderem mit Hilfe von Diskussionen und strategischen Gesprächen über Bildungs-, Führungs- und Kulturfragen in Gremien des Unternehmens, aber auch in Gesprächen über die Rolle und Aufgaben von Diakoninnen und Diakonen an ihren jeweiligen Einsatzorten“, ergänzte Friederike Beuter. Zusammen mit dem Unternehmen würden so Spielräume geschaffen für die Gestaltung und das Sicht- und Spürbarwerden christlichen Glaubens als Grundlage der Kommunikation des Evangeliums in Wort und Tat, also diakonischen Handelns. Auf diese Weise trage Gemeinschaft dazu bei, das diakonische Profil Bethels zu schärfen und zu bewahren in einer Zeit, in der eine christliche Sozialisation keine Selbstverständlichkeit mehr ist.
Aus der Brüder- und Schwesternschaft Martinshof brachten Diakonin Anne Schubert und der Gemeinschaftsälteste Diakon Stefan Zeller konkrete Ideen für die gute Vernetzung zwischen Gemeinschaft und Unternehmen mit. „Das Unternehmen stellt alle Mitarbeitenden des Martinshof für die Hälfte der Arbeitszeit frei, wenn diese die Diakonenausbildung absolvieren“, so Anne Schubert. Ihrer Erfahrung nach ist es besonders wichtig, die Begegnung zwischen Mitarbeitenden und Gemeinschaft zu ermöglichen. „Wir bieten verschiedene diakonische Formate an, die offen für Mitarbeitende am Martinshof sind: Die diakonische Pause, gemeinsame Feste, Pilgerreisen, den Willkommenstag.“ Die gemeinsam genutzte Kapelle sei ein wichtiges Bindeglied, so Stefan Zeller. „Das, was für die Gemeinschaft wichtig ist, ist auch für die Stiftung wichtig.“ Für wirkliche Präsenz im Unternehmen fehle jedoch Kapazität, resümierten beide. Daher haben sie das Projekt „Ankermenschen“ ins Leben gerufen, das das diakonische Profil des Unternehmens in die Fläche der heute weitgehend säkularen Mitarbeitenden tragen soll. „Wir können als Gemeinschaft das Werteherz sein“, so Stefan Zeller. „Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht irgendwann einen Herzschrittmacher brauchen.“
Auch aus dem äußersten Westen Deutschlands erreichte eine Videobotschaft die Konferenz. Annegret Puttkammer, Direktorin und Theologische Vorständin des Neukirchener Erziehungsvereins, sprach in ihrem Grußwort von ihrem Ziel, dass in jeder Einrichtung ein Diakon oder eine Diakonin arbeite. Denn die Bruderschaft, so Annegret Puttkammer, sei nach wie vor ein wichtiger Teil des geistlichen Profils und somit auch wichtig für die Gewinnung von Fachkräften. Kai-Uwe Wessels, Gemeinschaftsältester der Neukirchener Bruderschaft, ergänzte: „Die Mitarbeiterbindung ist sogar noch wichtiger als das Recruiting und dabei spielt die Bruderschaft eine entscheidende Rolle.“
Durch diese Inputs wurde erneut klar, wie entscheidend die Rolle der diakonischen Gemeinschaften für die Unternehmen ist. Wichtig ist, diese Rolle dem Unternehmen gegenüber klar zu kommunizieren, so das Resümee aus den gemeinsamen Tagen. „Gleichsam ist es gut zu wissen, dass Diakonische Unternehmen ‚ihre‘ Gemeinschaften würdigen und unterstützen“, fasste Diakon Tobias Petzoldt, Geschäftsführer des VEDD, zusammen.
Text und Fotos: Diakonin Arnica Mühlendyck