Skip to content

„Mit weitem Herzen und vollen Händen“

Seit 1876 war die Ausbildung von Diakonen – und ab 1971 von Diakoninnen – „das Aushängeschild“ der Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg. Seit 1999 ist die Landeskirche Trägerin der Evangelischen Hochschule, an der die Ausbildung stattfindet. Berufung und Einsegnung, Hochschulgemeinde und Studienwohnheim, insbesondere aber der berufsständische Karls- höher Diakonieverband verblieben in der besonderen Verantwortung des Diakoniewerkes. Erstmals in dieser langen Historie wurde nun mit Diakonin Renate Schwarz eine Frau als Geschäftsführerin des über 1.000 Mitglieder zählenden Netzwerkes gewählt.

Sie sind die erste Frau in einem bislang rein von Männern geprägtem Amt. Was löst das in Ihnen aus?

Natürlich freue ich mich mit den Diakoninnen der Gemeinschaft. Ganz besonders freue ich mich mit den Schwestern, die vor meiner Zeit im Diakonieverband dafür gekämpft haben, dass Frauen in der Gemeinschaft mit ihren Themen und Bedarfen gehört und repräsentiert werden. Lange Zeit waren die Frauen zahlenmäßig stark in der Unterzahl. Heute ist das umgekehrt, und so trägt meine Berufung auch einer Entwicklung unseres Amtes Rechnung.

Andererseits hängt meine Berufung auch dahingehend mit meiner Rolle als Frau zusammen, als die Stelle mittlerweile auf 50 Prozent reduziert werden musste. Als Teilzeitjob ist das für viele Männer in ihrer Karriereplanung weniger interessant. Und als Frau komme ich zusätzlich zur fachlichen Qualifikation auch deshalb in Frage, weil wir Frauen immer noch den größten Teil der Care-Arbeit in den Familien leisten und oft gar nicht zu einhundert Prozent für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Das ist auch in meinem Fall so.

Spielen die Begriffe „weibliche“ oder „männliche“ Diakonie überhaupt noch eine Rolle?

Das sind nur noch historische Begriffe, die Trennung stammt aus einer Zeit, als Frauen sonst keinen Zugang zu diakonischer Erwerbsarbeit hatten. Seit über 50 Jahren werden auf der Karlshöhe Männer und Frauen zu Diakonen und Diakoninnen ausgebildet. Die Gesellschaft hat sich verändert und auch die diakonischen Arbeitsfelder. Wir müssen dabei meines Erachtens aufpassen, dass die Männer dort nicht auf einmal so unterrepräsentiert sind wie vormals die Frauen – und sich entsprechend schwertun. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen aller Geschlechter die Unterstützung haben, die sie brauchen, und die gleichen Chancen bekommen.

Neben Geschlechtergerechtigkeit sind es meines Erachtens aber auch andere Themen, die wichtig sind. Der Beruf und der berufliche Erfolg haben nicht mehr alleinige Priorität im Leben vor allem der jüngeren Generation. Männern und Frauen streben nach einer ausgeglicheneren Arbeits- und Lebensgestaltung, in der vor allem ausreichend Zeit für Familie und Beziehungen wichtig ist. Das ist durch viele Untersuchungen bestätigt, und ich erlebe es auch in der Praxis so. Es gibt im so genannten New Work einige interessante Ansätze und erfolgreich erprobte Modelle, die dem gerecht werden, wie zum Beispiel die Stellenteilung auch in Leitungspositionen. In weiten Teilen der Gesellschaft und auch in Kirche und Diakonie erlebe ich in Hinblick darauf allerdings noch sehr wenig Flexibilität und Umdenken. Wenn der Beruf nicht nur Druck bedeutet, sondern Spaß macht, sind auch die Ergebnisse besser. Als Diakoninnen und Diakone haben wir den schönsten Beruf der Welt: Weil wir uns von Gott bedingungslos angenommen und geliebt wissen, dürfen wir diese Liebe weitergeben – auch und vor allem an diejenigen, die wenig oder keine Anerkennung und Liebe erfahren. Leider beobachte ich immer wieder, wie Druck, hinderliche Strukturen und mangelnde Flexibilität einen dabei gehörig ausbremsen können.

Der Wandel ist also ein zentrales Thema?

Unsere Welt und die Gesellschaft wandeln sich ständig, es wäre schlimm, wenn wir darauf nicht reagieren würden. Die Ausbildung hat sich seit Gründung der Karlshöhe deshalb immer wieder verändert.

Die Aufnahme von Frauen war dabei nur ein Meilenstein, die volle staatliche Anerkennung und Diplom-, sowie inzwischen die Bachelorabschlüsse waren weitere, um nur einzelne Beispiele für Anpassungen und Veränderungen zu nennen. Mit der berufs- begleitenden Qualifikation und der Aufbauausbildung für Absolvent*innen der biblisch-missionarischen Ausbildungsstätten gibt es heute zudem weitere Zugangsmöglichkeiten in den Diakonat.

Auch die jungen Menschen, die in den Diakonat streben, haben sich natürlich verändert und die Vorprägung der Auszubildenden ist vielfältiger. Für meinen Großvater bedeutete die Ausbildung zum Diakon nach einem erlernten Handwerksberuf eine erhebliche soziale Bildungs- und Aufstiegschance. Solche bodenständigen Biografien waren noch Jahrzehnte nach meinem Großvater für den Beruf prägend. Das beinhaltete in der Regel auch eine starke kirchliche Prägung und Bindung von Kindestagen an sowie das dazu gehörige Erfahrungswissen. Auch noch in meinem Studienjahrgang waren fast alle in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit beheimatet, in der Regel auch als Mitarbeitende, und hatten dadurch im Beruf bereits eine gewisse Praxiserfahrung.

Das ist heute nicht mehr bei allen so, und auch die religiösen Vorerfahrungen sind vielfältiger. Statt einer abgeschlossenen Handwerkslehre ist schon lange eine Hochschulreife Zugangsbedingung, wie in vielen Bereichen gibt es auch hier eine Akademisierung.

Als Diakonieverband müssen wir mit diesem Wandel mitgehen. Dass wir viele junge Mitglieder haben, die sich in der Gemeinschaft engagieren, zeigt, dass dies bisher gut gelungen ist. Die große Stärke des Diakonats liegt bei allem Wandel in der doppelten Qualifikation mit theologisch-religionspädagogischen und pädagogisch-sozialwissenschaftlichen Kompetenzen. Das ist das Herzstück und nicht verhandelbar. So können Diakoninnen und Diakone wertvolle Brückenbauer*innen sein zwischen Kirche und Gesellschaft.

Wo sehen Sie Schwerpunkte der künftigen Verbandsarbeit?

Der Diakonieverband hat aus meiner Sicht für seine Mitglieder die gleiche stärkende Aufgabe wie vor knapp 150 Jahren. Mir persönlich ist es wichtig, die Menschen mit ihren vielfältigen Berufs- und Lebenserfahrungen zusammenzubringen, die verschiedenen theologischen und spirituellen Prägungen wertzuschätzen und so voneinander zu lernen. Gemeinsam können wir unser Netzwerk stetig erweitern, so dass es trägt, wenn sich die Brüder und Schwestern im Alltag als Einzelkämpfer*innen fühlen, oder wenn sie berufliche und sonstige Krisen bewältigen müssen. Die Jungen willkommen heißen und die Alten nicht vergessen, dafür müssen wir immer wieder neue Wege finden.

Die Bindekräfte in einer Gemeinschaft entstehen durch die Pflege der Kontakte. Natürlich kann nicht jedes Mitglied mit allen anderen 1.000 Mitgliedern Beziehungen pflegen. Mein Anliegen ist es vielmehr, dass jedes Mitglied, wenn es dies möchte oder braucht, irgendwo andocken kann und Unterstützung und Gemeinschaft erlebt. Dafür braucht es Begegnungsmöglichkeiten, Dialog, Veranstaltungen, Plattformen und viel gute Kommunikation – auch im digitalen Raum.

Entscheidend ist, dass wir kein nostalgischer Selbstvergewisserungs-Verein sind, sondern unseren Auftrag erfüllen, die Liebe Gottes in dieser Welt weiterzugeben. Dies tun wir, indem wir Diakoninnen und Diakone stärken, aber auch indem wir uns als Berufsverband für einen starken Diakonat in Kirche, Diakonie und Gesellschaft einsetzen.

Was leitet Sie persönlich?

„Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Dieser Vers aus dem ersten Johannesbrief war das gemeinsame Bibelwort meines Berufungsjahrgangs. Es fasst für mich zusammen, warum ich mich als Diakonin habe berufen lassen und was mich seitdem antreibt und durchhalten lässt. Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen, in denen Kirche und Diakonie ganz besonders gefordert sind. Ich bin überzeugt davon, dass die Gemeinschaft des Diakonieverbands dabei für Diakoninnen und Diakone eine entscheidende Bedeutung hat als Rückhalt, unterstützendes Netzwerk und manchmal einfach nur Wohlfühlort. Als Geschäftsführerin möchte ich dafür Räume bereitstellen, streitbar sein und mit meinem Leben Zeugnis geben von dem, was größer ist als ich und mich trägt. Ich wünsche mir, dass der Diakonieverband ein Ort sein kann, an dem unsere Mitglieder „Liebe tanken“ können, um sie dann mit weitem Herzen und vollen Händen weitergeben zu können – untereinander und für andere.

Interview: Michael Handrick

An den Anfang scrollen