Nicht allein und doch ganz frei
Zwei verschiedene Gemeinschaften mit einem gemeinsamen Bindeglied
Constanze Schlecht und Rabea Than sind Schwestern – und das gleich im doppelten Sinn. Constanze ist die Vorstandsoberin im Evangelischen Diakonieverein Berlin-Zehlendorf und Mitglied in der dortigen Diakonischen Gemeinschaft, Rabea ist Diakonin in der Diakoninnengemeinschaft Rummelsberg. Geboren und aufgewachsen sind beide in Baden-Württemberg bis zum Umzug der Familie nach Nürnberg. Der Vater: ebenfalls ein Diakon. „Constanze ist die Älteste, ich die Jüngste“, so Rabea Than. „Als wir nach Nürnberg gezogen sind, war ich in der dritten Klasse. Nürnberg ist meine Heimat.“ Für Constanze, die beim Umzug in die fränkische Metropolregion bereits kurz vor dem Abitur stand, war das anders. „Wir sind oft umgezogen. Bevor ich nach Berlin ging, hatte ich höchstens acht Jahre am selben Ort gelebt. In Bayern wollte ich nicht bleiben. Die Stadt Berlin und ihre Geschichte fand ich spannend. Als die Schwesternschaft des Diakonievereins, die heutige Diakonische Gemeinschaft, ein Ausbildungsangebot in der Pflege für Abiturientinnen machte, bin ich hingezogen.“ Noch etwas, was die Schwestern verbindet: Beide haben eine Ausbildung in der Pflege gemacht und wussten schon früh, dass das der richtige Weg für sie ist. Familiäre Disposition? Nicht unbedingt – die dritte Schwester ist Sozialpädagogin, arbeitet aber nicht in diesem Beruf und die beiden Brüder sind in ganz anderen Feldern tätig. Der Vater hat in Ludwigsburg studiert und ist schon vor dem Umzug nach Bayern der Rummelsberger Brüderschaft als Freibruder beigetreten.

Das Einzige, das Rabea vom Weg in die Pflege hätte abhalten können, war ein Studium der Tiermedizin. „Mit Fachabitur war das allerdings nicht möglich, also kam das nicht in Frage“, erklärt die 50-Jährige. In Rummelsberg hat sie die Ausbildung in einer Zeit gestartet, als sie für werdende Pflegekräfte attraktiver wurde: Erst seit 1992 konnte man die Ausbildung als Pflegefachkraft in Kooperation mit dem Klinikum Nürnberg machen, vorher ging das nur in Augsburg. „Als Kind fand ich klösterliche Gemeinschaften und deren Strukturen spannend, ich konnte mir gut vorstellen, so zu leben. Später wurde mir dann jedoch klar, dass ich Familie wollte.“ In der Diakoninnengemeinschaft war beides möglich.
Constanze hat ihre geistliche Heimat in Berlin gefunden. „Berlin war damals ja noch ein Inselstaat. Ich habe meine Ausbildung in Spandau, also im Westteil der Stadt, gemacht. Von dort aus waren es mehr als 250 Kilometer, bis man wieder entspannt ankommen konnte. Die Entwicklung zur Metropole hat Berlin natürlich nach der Wiedervereinigung gemacht, aber auch vorher war es eine spannende Stadt. Durch den Inselstatus hatte Berlin mit einem großen Fachkräftemangel zu kämpfen. Die Bedingungen für die Ausbildung waren deshalb sehr attraktiv, es gab eine Berlinzulage und eine gewisse Anzahl an Heimreisen wurden bezahlt. Die Ausbildung innerhalb der Schwesternschaft war außerdem sehr fundiert, klar und anspruchsvoll. Das hatte ich mir gewünscht“, erzählt die 58-Jährige von den ersten Jahren in Berlin. Nach der Ausbildung hat sie an verschiedenen Orten in Deutschland gelebt, unter anderem in Frankfurt am Main und Wittenberg. „Aber nirgends so lang, wie in Berlin.“ Als Vorstandsoberin ist sie heute für die Diakonische Gemeinschaft Berlin-Zehlendorf zuständig, für alle Fragen, die mit Pflege, Altenhilfe, Personal und Bildung zu tun haben. Auch die Berufspolitik ist ihr sehr wichtig. Rabea hat vor einigen Jahren zusätzlich angewandte Pflegewissenschaften studiert mit einer Vertiefung im Palliativ-Bereich. Heute arbeitet sie in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung in Erlangen.
Schwestern im Geiste
Beide Schwestern gehören einer diakonischen Gemeinschaft an. Die Gemeinschaften sind sich ähnlich und könnten doch unterschiedlicher kaum sein. „Meine Gemeinschaft ist älter, sie wurde bereits 1894 gegründet, bald werden wir 130“, erklärt Constanze den ersten Unterschied zur Diakoninnengemeinschaft, die 2022 ihr 40. Jubiläum gefeiert hatte. Auch der Anlass für die Gemeinschaftsgründung war ein anderer, als bei der bayerischen Gemeinschaft. „Die Frauenfrage stand absolut im Vordergrund. Damals gab es noch kein Bürgerliches Gesetzbuch und kein Wahlrecht für Frauen. Mädchen konnten nur selten studieren oder einen Beruf ergreifen, sie konnten, um eine Stellung in der Gesellschaft zu bekommen, eigentlich nur heiraten. Der Gründer, Professor Friedrich Zimmer, der damals das Predigerseminar in Herborn leitete, wollte unverheirateten Frauen eine Berufsperspektive geben.“ Er war mit dem Zustand konfrontiert worden, dass die Frauen der Pfarrer als diakonische Arbeitskräfte eingesetzt wurden, ohne dafür eine Zurüstung bekommen zu haben. Er gründete Töchterheime, um Mädchen schulisch auszubilden. Er wollte eine fundierte Berufsausbildung für Frauen. Die erste Ausbildung in der Pflege fand in Wuppertal statt, Inhalte aus dem Curriculum wurden später ins erste preußische Pflegegesetz übernommen. „Wer verheiratet war, war unter der Haube, auch optisch. Die Tracht der Diakonissen und der Diakonieschwestern war quasi die Kleidung der verheirateten Bürgersfrau“, erklärt die Oberin. Zur Diakonischen Gemeinschaft Berlin-Zehlendorf gehören keine Diakonissen, sondern Diakonieschwestern und seit 2015 auch Diakoniebrüder. „Bei uns darf man Kommen und Gehen. Man kann jederzeit austreten und dazukommen.“
Das ist in Rummelsberg anders: Wer aus der Gemeinschaft austritt, verliert den beruflichen Titel der Diakonin. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Die Diakoninnengemeinschaft wurde 1982 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt gab es die Rummelsberger Brüderschaft bereits rund 80 Jahre, die Aufnahme von Frauen, die den gleichen Beruf ergriffen, war jedoch nicht vorgesehen. Die Frauen, die damals die Ausbildung machten, gründeten daher eine eigene Gemeinschaft. Was einfach klingt, war ein langer Weg, der dazu führte, dass bis heute zwei diakonische Gemeinschaften in Rummelsberg neben- und miteinander leben und arbeiten – ein bayerisches Alleinstellungsmerkmal.
„Wir werden außerdem bei der Evangelischen Landeskirche in Bayern verbeamtet, das begrenzt uns natürlich geografisch auf Bayern“, so Rabea. Nicht in allen Landeskirchen entsprechen die Grenzen des Bundeslandes so eindeutig den Grenzen der Landeskirche, wie in Bayern.
Die Gemeinschaftsmitglieder der Diakonischen Gemeinschaft in Zehlendorf sind über ganz Deutschland verstreut. Der Evangelische Diakonieverein hat Gestellungsverträge mit vielen Einrichtungen und Kliniken. Sein Hauptgebiet war und ist die Pflege, während in Rummelsberg die Pflege ein vergleichsweise kleines Gebiet ist. Die meisten Diakoninnen und Diakone der Rummelsberger Gemeinschaften machen sozialpädagogische Fachausbildungen. Seit der Akademisierung – alle beenden die Ausbildung mit einem Bachelor in Diakonik – ist es noch schwieriger geworden, die Fachausbildung in der Pflege zu machen, vor allem für jene, die ohne Abitur in die Ausbildung starten. Beide Gemeinschaften sind geistliche Dienstgemeinschaften und berufliches Netzwerk. Berufspolitik wird in beiden Gemeinschaften großgeschrieben.
Aktuelle Entwicklungen
Seit 2015 können auch Männer Teil der Diakonischen Gemeinschaft werden. „Ökumenisch waren wir übrigens auch schon immer“, erzählt Constanze aus der Geschichte der Gemeinschaft. „Die erste Oberin war Mennonitin. Christliche Gruppen, die sonst verschiedenen Abendmahlsgemeinschaften angehören, können bei uns gemeinsam Abendmahl feiern und Gemeinschaft erleben.“ Derzeit gehören rund 1.100 Mitglieder zur Gemeinschaft, in Rummelsberg sind es ungefähr 300 Frauen. Die Zahlen sind rückläufig, sowohl in Bayern, als auch in Berlin. „Wir schrumpfen“, stellt Constanze fest. Die Gründe für die Austritte sind vielfältig: Umzüge, dienstliche Zäsuren, inhaltliche Wegentwicklung von der Gemeinschaft. Oder ein Umsatteln auf einen anderen Beruf. Anderen sind die finanziellen Abgaben zu hoch. Gründe, die in Rummelsberg ebenso gelten, wie für die Berliner Gemeinschaft. „Früher haben pro Jahr 40 junge Menschen die Ausbildung begonnen“, erinnert sich Rabea. „Heute sind es viel weniger.“
Beide Frauen würden sich jederzeit wieder für ihre Gemeinschaft entscheiden. Und können eine Gemeinschaftszugehörigkeit auch uneingeschränkt empfehlen: Vielfältigkeit, ein spirituelles und berufspolitisches Netzwerk, die passende Peergroup. „Ich bin mit Menschen zusammen, die meine Werte teilen, mit denen ich meinen Glauben leben kann, mit denen ich nicht in Konkurrenz stehen muss. Niemand steht alleine und doch ist da ganz viel Freiheit“, so Constanze. Rabea ergänzt: „Ich kriege jederzeit Unterstützung von den anderen Gemeinschaftsmitgliedern. Und die Berufsausbildung ist natürlich sehr attraktiv. Ich kann mir schließlich die passende Fachausrichtung aussuchen und mit theologischen Inhalten kombinieren.“
Für die Zukunft wünschen sich die Schwestern, dass ihre Kirche sich nicht entmutigen lässt, sondern sich weiterhin einsetzt für all jene, die in ihr ein Zuhause finden. „Wir haben als Gemeinschaften die Chance, in der Zusammenarbeit mit Trägern mit Menschen in Verbindung zu kommen, die nicht in die Kirche kommen. Wir sind quasi dritte Orte, an denen sich Gemeinde bildet“, so Constanze und Rabea.
Diakonin Arnica Mühlendyck, Öffentlichkeitsarbeit VEDD (9.300 Zeichen)