Vom Ziergarten zum Biotop – Rede beim Verbandstag des Diakonieverbandes auf der Karlshöhe
Cornelia Coenen-Marx war die Hauptrednerin beim diesjährigen Verbandstag des Diakonieverbandes am 9. November auf der Karlshöhe. Die 67-jährige Pfarrerin, ehemalige Oberkirchenrätin in der Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland meint, „sorgende Gemeinden können tragende Aufbrüche in Umbrüchen“ sein. Sechs Schritte, meint die ehemalige Vorsteherin der Kaiserswerther Schwesternschaft, führen weg von Kirchenstrukturen die überwiegend an ökonomischen und verwaltungseffizienten Gemeinden interessiert sind.
Wer Kirchen abreißt, verkauft, Gemeinden – kirchliche oder kommunale auflöst, muss wissen, dass sie oder er Heimat zerstört. „Wenn eine Landeskirche es zulässt, dass Kirchen abgerissen werden, wissen die Menschen „die Welt ist nicht mehr in Ordnung“. Was wie eine stille Anklage klingt, ist im Vortrag von Cornelia Coenen-Marx eine Hinführung zu einer anderen Wahrnehmung und Haltung.
„Schaut hin, was den Menschen ihren Boden unter den Füßen wegzieht“, sagt sie. Wo alles Vertraute schwindet, Schulen schließen, Ärzte fehlen, Kommualverwaltungen zentralisiert werden, Mobilität immer schwieriger wird, finden all jene Gehör, die Altes beschönigen. Aber so Coenen-Marx, Bürger sind nicht dazu da, um bestimmte Dienstleistungen zu kaufen. Derartiges fördert bei vielen Menschen den Eindruck: „Wir haben nicht zu sagen, auf uns kommt es nicht an.“
Die Wahrnehmung solcher Stimmungen und Veränderungen sei der erste Schritt zu Veränderungen. Dann brauchen Kirchenleitungen und Kirchengemeinden einen Wechsel in ihrer Perspektive. Statt langer Zahlenreihen über Personal und Einnahmen zu pflegen gilt es „Nachbarschaften zu beleben.“ Gemeinschaft ermöglichen und Halt geben, das sind die ersten Aufgaben. Dass diese nicht alleine von Kirchengemeinden geschaffen werden können, scheint Coenen-Marx in der gegenwärtigen Lage unbestreitbar zu sein. Daher gilt es Verbünde zu schaffen. Aber Kirchengemeinden könnten als „sorgende Gemeinschaften“ für jene offen sein, die sich ihre Räume in der Gesellschaft – oder wörtlich gemeint in den kirchlichen Immobilien – nicht selbst nehmen können.
Statt für die Menschen im Dorf oder Stadtteil – mit den Menschen planen und handeln- dafür sieht Coenen-Marx bereits viele Ansätze und Beispiele. Es geht ihrer Meinung nach darum, aus der individualistischen Haltung der Frage nach dem „Ich“ zu einem neuen „Wir“ zu kommen. Dazu braucht es, sagt Coenen-Marx, „das neue Wir“. Das entsteht, sagt sie weiter, durch „offene Begegnungen, Orte die offenstehen, deren Besuch nichts kostet als das Kommen, offen sind ohne Zuordnung zu bereits festen Gruppen. „Tischgemeinschaft“ und „Haltestelle“ nennt sie Treffpunkte wie einen Generationentreff, bei dem alte in Sütterlinschrift verfasste Briefe gelesen und für die junge Generation umgeschrieben werden. Im Bild gesprochen, sagt Marx sollten Kirchengemeinden „statt ihren kirchlichen Ziergarten pflegen, menschliche Biotope wachsen lassen.“
M. Ernst Wahl